Programmheft Fra Diavolo
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Auber, Scribe und „FRA DIAVOLO “
Daniel François Esprit Auber (1782 – 1871) stammte aus einer begüterten Pariser
Familie und musste sich lange um seine materielle Existenz keine Sorgen machen.
Erst 1820 wurde er durch den Tod des Vaters und den Bankrott von dessen Geschäft
gezwungen, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Paris war im 19. Jahrhundert
die Opernhauptstadt Europas, deren dominierende Komponisten Rossini, Auber,
Meyerbeer und Offenbach wurden. Beherrschte Giacomo Meyerbeer die Grande
Opéra, war Auber der König der Opéra comique. Beide wurden inspiriert durch
den Italiener Gioacchino Rossini, der in den 1820er Jahren aus Italien nach
Paris kam und das dortige Théâtre-Italien regierte. Die in Paris dominierenden
Operngattungen wurden also immer stark durch das jeweilige gleichnamige
Opernhaus geprägt. Als Rossini sich 1830 mit nur 38 Jahren von der Opernbühne
zurückzog, gab das der Karriere Aubers gewaltigen Auftrieb. Hatte der Franzose 1828
mit seiner Revolutionsoper „Die Stumme von Portici“ die Geburt der Grande Opéra
entscheidend mitgestaltet, indem er ein wichtiges Vorbild für Meyerbeer lieferte,
wandte er sich anschließend wieder der Opéra comique zu, die sich von allen anderen
damaligen Opernformen durch die Verwendung gesprochener Dialoge anstelle
der sonst üblichen Rezitative unterschied. Sie wurde als französische Spieloper
ein wichtiges Vorbild für Offenbach. Allerdings bedeutet Opéra comique nicht
automatisch Komische Oper – auch Bizets „Carmen“ (1875) mit ihrem tragischen
Ende ist eine Opéra comique. Dem Unterhaltungsbedürfnis des Pariser Publikums
um 1830 folgend wurden auch manche ernste Themen heiter gestaltet. Was Ausländer
an dieser Ambivalenz verstörte (Richard Wagner: „Da erschreckt uns die Groteske
des FRA DIAVOLO“), war für die Pariser völlig normal. Sie lechzten nach immer
neuen Stoffen aus der Opernwerkstatt des Librettisten Eugène Scribe (1791 – 1861).
Er lieferte nicht nur die Textbücher für 28 der 56 Auber-Opern, sondern belieferte
ebenso Meyerbeer und viele andere, darunter einmal sogar Verdi. Bis zu 70 Autoren
gleichzeitig beschäftigte Scribe, der selbst auch Schauspielstücke schrieb. Auf diese
Weise kam fast alle drei Wochen ein neues Scribe-Stück in Paris zur Uraufführung,
insgesamt etwa 350. Komponisten, die mit ihm zusammenarbeiteten, hatten weit
mehr Erfolg als andere, die dies nicht taten. Die 1830 uraufgeführte Oper FRA
DIAVOLO war Aubers erfolgreichste, wurde schon rasch nahezu überall in Europa
nachgespielt und erlebte allein in Paris bis 1907 mehr als 900 Aufführungen.
Die Idee zu dieser Oper lieferte Scribe das wahre Leben, denn diesen Banditen
mit dem Namen „Bruder Teufel“ gab es um 1800 in Süditalien wirklich. Er hieß Michele Pezza und war anfangs Mönch unter dem Namen Fra Angelo, schloss
sich jedoch einer Räuberbande an und wurde schon bald deren Hauptmann. Nach
Napoleons Einfall in Italien 1799 wurde er zum – teilweise sogar von den Engländern
unterstützten – erfolgreichen Freiheitskämpfer gegen die Franzosen. Als diese
1806 Süditalien zurückeroberten, wurde er gefangengenommen und anschließend
gehenkt. In der Oper von Auber und Scribe bleibt davon nicht viel mehr übrig
als ein eiskalt berechnender und dabei aus Kalkül durchaus auch charmanter und
liebenswürdiger Ganove, dem jedes Mittel Recht ist, um an sein Ziel zu gelangen.
Regisseur Guillermo Amaya interessiert bei allen unterhaltsamen Aspekten dieser
Oper vor allem die Ernsthaftigkeit des Stoffes: ein Bandit, der eine ganze Gegend
in Angst und Schrecken versetzt, sodass die dortigen Menschen eigentlich kein
normales Leben mehr führen können. Im Gegensatz zu Rossini bringen Auber
und Scribe keine eindimensionalen Typ-Figuren, sondern Menschen aus Fleisch
und Blut mit Fehlern und Schwächen auf die Bühne. Niemand handelt hier
immer völlig moralisch, nicht einmal das dafür am besten geeignete Liebespaar,
denn Zerline flirtet ebenso gerne mit dem charmanten Marquis wie Lorenzo
mit der Lady. Während die Braut ihre vom Vater gewünschte Verheiratung mit
dem reichen Bauern Francesco ohne größeren Widerstand hinnehmen würde,
ist der Offizier so eifersüchtig, dass er ihr zutraut, ihn in der Nacht vor der
Hochzeit mit dem Marquis zu betrügen. Als er die Gelegenheit bekommt, den
vermeintlichen Nebenbuhler zu erschießen, zögert er keinen Augenblick. In unseren
Aufführungen ist also das ursprüngliche Ende von Auber und Scribe zu sehen,
welches nur ein paar Jahre später aufgrund der öffentlichen Meinung dahingehend
abgeändert wurde, dass Fra Diavolo entkommen kann. Ansonsten dominiert in
der zeitlich nicht konkret festgelegten Inszenierung die Diskrepanz zwischen dem
Handlungskrimi und der heiter unterhaltsamen Musik, die ein reiner Ohrenschmaus
ist, weshalb Richard Wagner diese Oper einst als „Groteske“ bezeichnete.
Ivo Zöllner