Programmheft Falstaff
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Zum Stück
Kaum ein Komponist hat über einen so langen Zeitraum Opern komponiert wie Giuseppe Verdi (1813 – 1901), dessen 200. Geburtstag die Musikwelt im Oktober 2013 feiert. Zwischen den Uraufführungen seiner ersten Oper ‚Oberto‘ (1839) und seiner letzten Oper Falstaff (1893) liegt mehr als ein halbes Jahrhundert. Zugleich hat sich kaum ein anderer Opernkomponist in seinem Schaffen stilistisch so gewandelt und verändert: War Verdis Frühwerk noch stark den Opernkonventionen seiner Zeit verhaftet, fand er spätestens in seiner ‚Trilogia popolare‘ (‚Rigoletto‘, ‚Il trovatore‘ und ‚La traviata‘) zu seinem eigenen Weg hin zu einem italienischen Musikdrama, das ihm schließlich mit dem ‚Otello‘ (1887) in Vollendung gelang. Dies allein ist eine ungeheure Lebensleistung, die der seines gleichaltrigen deutschen Antipoden Richard Wagner auf Augenhöhe begegnet. Doch dann beschließt der bedeutendste italienische Dramenkomponist seine Opernlaufbahn überraschend mit einer heiteren Oper, um sich mit dieser lachend von der Welt zu verabschieden. Noch der alte Rossini soll einmal gespottet haben, Verdi könne zwar Tragödien, aber keine Komödien komponieren. Tatsächlich hatte Verdi nach einem frühen Misserfolg (‚Un giorno di regno‘) jahrzehntelang keine heitere Oper mehr komponiert. Und plötzlich, einige Jahre nach seinem letzten Musikdrama ‚Otello‘, wagte sich der Endsiebziger an eine der prallsten Komödienfiguren des Shakespeare-Theaters: Falstaff. Wie schon beim ‚Otello‘ fungierte Verdis jüngerer italienischer Komponisten-Kollege Arrigo Boito (1842 – 1918) als sein kongenialer Librettist. Sein für Verdi geradezu ideales Textbuch ist nicht nur nach der Shakespeare-Komödie ‚Die lustigen Weiber von Windsor‘ geformt, sondern verwendet auch wichtige Passagen aus Shakespeares Historiendrama ‚Heinrich IV.‘, wie etwa den berühmten Ehre-Monolog Falstaffs. Durch diese Ergänzungen bekommt die pralle Titelfigur weit mehr philosophischen Tiefgang als in der harmloseren Oper von Otto Nicolai. Nur für sich selbst wollte Verdi den Falstaff ursprünglich komponieren. Heraus kam dabei eine singuläre Lyrische Komödie, welche die mit Donizettis ein halbes Jahrhundert zuvor uraufgeführtem ‚Don Pasquale‘ fast schon versiegende italienische Buffa-Tradition neu belebte und mit ihrem Facettenreichtum sogar noch übertrumpfte. Das Tor für die heitere italienische Oper des 20. Jahrhunderts (Puccinis ‚Gianni Schicchi‘ und das Opernschaffen Ermanno Wolf-Ferraris) wurde durch Verdis Falstaff weit aufgestoßen. Wunderbare Ensembles und musikalische Ironie machen dieses Werk für Kenner zu einem ganz besonderen Leckerbissen. Nicht nur Arturo Toscanini setzte sich sehr für Verdis letzte Oper ein, auch spätere berühmte Dirigenten wie Karajan oder Bernstein liebten diese genial ausbalancierte Komödie ganz besonders und führten sie immer wieder auf. Inzwischen hat sich Falstaff als Verdis komödiantisches Meisterwerk weltweit durchgesetzt und wird überall gespielt. Dem Greis gelingt hier das Kunststück, auch über sich selbst lachen zu können – getreu dem schönen Motto, das die Oper mit einer Fuge beschließt: „Alles ist Spaß auf Erden!“
Ivo Zöllner